Erfahrungsbericht

Arbeitsplatz
09.11.2020
Gemeldet
Lösung gefunden: Ja

Ich bin Deutscher chinesischer Abstammung, hier in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Eltern gaben mir sowohl einen deutschen, als auch chinesischen Vornamen, wobei der deutsche Vorname mein Rufname ist, mit dem ich mich auch vorstelle, mein Nachname ist chinesisch.
Vor kurzem habe ich in der Rechtsabteilung eines großen, internationalen Konzerns angefangen. Covidbedingt findet die Arbeit praktisch ausschließlich aus dem Homeoffice statt, sodass ich die neuen Kolleg*Innen überwiegend virtuell kennenlernen musste. Als ich mich bei einem Videocall einem Kollegen aus einem anderen Team vorstellte, sagte dieser unvermittelt und bevor er sich selbst vorgestellt hat, dass mein Vorname ja nicht zum Nachnamen passe, ich "ja bestimmt schon lange, 25 Jahre in Deutschland und quasi Deutscher" sei, man ja "nichts heraus höre". Er setzte zu einer Aussage in Richtung "du sprichst gut deutsch" an, wurde aber dann von meinem Teamleiter unterbrochen.
Nach dem Call habe ich den Rest des Tages mit mir gerungen, ob ich die Sache melden soll, sie gegenüber meinem Teamleiter nochmal ansprechen soll. Ich war schockiert, mit welcher Unverblümtheit, Unreflektiert Zeit und ja, Offenheit der Kollege derart rassistische Äußerungen nicht nur mir gegenüber, sondern auch in "Anwesenheit" Dritter tätigt.
Ich entschied mich dafür, es zu melden und kann mich wohl glücklich schätzen, bei meinem Teamleiter damit offene Türen eingerannt zu haben. Er wusste sofort, worum es geht, betonte, dass der Vorfall absolut inakzeptabel war und eskalierte den Vorfall innerhalb des Konzerns. Von Seiten des Unternehmens wurde der Vorfall vorbildlich gehandhabt - jeder Beteiligte nahm sich die Zeit, meine Sicht der Dinge ausführlich zu hören und ich wurde voll in die Prozesse eingebunden.
Nach einer anfänglichen "Nopology" des betreffenden Kollegen, die ich zurückgewiesen habe, hat sich der Kollege selbst weiter informiert. In einer weiteren Aussprache folgte dann eine aufrichtige und reflektierte Entschuldigung, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aussagen erkennen ließ - eine Entschuldigung, die ich annehmen konnte. Nichtsdestotrotz wurde die Entscheidung weiterhin mir überlassen, ob ich HR ansprechen und damit formelle Sanktionen anstoßen möchte.
Ich verzichtete darauf, weil ich glaube, dass der betreffende Kollege aus dem Vorfall wirklich gelernt hat.

Mir hat dieser Vorfall eine Sache verdeutlicht:
Es ist egal, wie stark/abgebrüht/selbstbewusst man mit rassistischen Aussagen im Alltag umgehen kann, solches Verhalten am Arbeitsplatz zu melden, kostet verdammt viel Überwindung. Einfach, weil man im Voraus nicht wissen kann, ob Derjenige, dem man sowas meldet, das ernst nimmt oder relativiert und du als Negativbetroffene*r am Ende als Dumme*r dastehst, denn ein guter oder gar vorbildlicher Umgang mit solchen Vorfällen ist in den wenigsten Organisationen selbstverständlich. Mein Glück war, dass diese Sorgen in diesem Fall unbegründet waren.